Dieter Wackerbarth - Jazzpodium 7/99

Musik und Literatur gehen einmal mehr eine wunderbare Liaison ein. KontraSax mit Christina Fuchs, ss, es, ts, bcl, und Romy Herzberg, Kontrabaß, nehmen zusammen mit Renate Fuhrmann, Rezitation, Prosastücke und programmatische Texte Gertrude Steins zum Ausgangspunkt und lassen sich inspirieren zu diesem literarisch- musikalischen Portrait der Schriftstellerin. Die Stein (1874-1946), schillernde Figur der Literaturgeschichte und der Künstlerszene im Paris nach der Jahrhundertwende, räumt auf mit dem romantischen Poetik-Ansatz des 19. Jahrhunderts, mit dem Pathos politischer Propheten und einer bis dahin umjubelten Genieprosa. In dem 4. Stück der CD (,Keiner/Keine") wird sie im Modus des Melodram mit ihrem literarischen Bekenntnis rezitiert. "lch habe Sätze und Rhythmen und literarische Obertöne und den ganzen anderen Unsinn zerstört. Wenn die Kommunikation stimmt, ist Leben in den Worten. Und das ist das Geheimnis der guten Literatur. Man schreibt Worte auf das Papier, die tanzen und weinen und Liebe machen und kämpfen und küssen und Wunder vollbringen," Einzelne Worte, Einzelsilben werden zu eigenständigen Bedeutungsträgern dynamisiert als solche deklamiert, rhythmisiert, phrasiert, teils mit Delay und Colagetechnik übereinandergeschichtet. "Kei-ner/Kei-ne ... Irgend-einer/Ir- gend-ei-ne . . .". Ja, die kunstvolle Abfolge der Silben und Worte macht die Poesie aus. Sie "tut nichts als Substantive gebrauchen, verlieren, zurückweisen und zufriedenstellen und betrügen und liebkosen. Das ist, was Poesie zu tun hat!". Renate Fuhrmann rezitiert in diesem "Terzett für Stimme und KontraSax" pointiert und akzentuiert mit ausdrucksstarker Sprechstimme. Die beiden Musikerinnen agieren analog zum literarischen Ansatz. Im musikalischen wiederholt sich die Destruktion von Sätzen und Rhythmen, hin zu einer Atomisierung der Klänge und Geräusche bzw. zum Arrangement kunstvoller Abfolge oder Gleichzeitigkeit.

Romy Herzberg (Jahrgang 1951) und Christina Fuchs (Jahrgang 1963) sind Meisterinnen ihrer Instrumente, die sie mit poetischen "Soundings", im Spiel mit Klangmöglichkeiten und kleinsten Klangeinheiten ausloten: von Fageolett bzw. Überblastechnik über perkussives Spiel und Vocalising bis hin zur kunstvollen Tontechnik mit Overdubbing und Collage-Schnitten. Das ist im Grunde das Geheimnis guter Musik im Grenzbereich von Jazz und neuer Musik, wie wir sie bereits von Gabriele Hasler und anderen her kennen. Die Kommunikation stimmt. Leben ist in den Tönen. Sie tanzen und weinen und machen Liebe, sie kämpfen und küssen und vollbringen Wunder. Thematisch begegnet immer wieder die Rose. Titel heißen "Rose 1-3", "Glasrosen", "Rosenholz", "Rose arco", "Still a rose". Auch das Cover zieren blaue Rosen. Steins berühmter Ausspruch:"Suppose to suppose a rose is a ...", Sinnbild für Abstraktion und Strukturalismus in der Moderne, wird facettenreich und virtuos entfaltet. Ein ebenso unterhaltsames wie geistreiches Hörabenteuer voller Vielschichtigkeit und Raffinesse.

Auf dieser CD begegnen sich Improvisierte Musik, elektronische Wortbearbeitung und Rezitation von Originaltexten in einer ganz eigenen Art.

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